Jede Schule braucht einen Geist

Die Schule, an der ich mein Abitur abgelegt habe, feiert demnächst ihr 50jähriges Jubiläum. Diese Schule hat mich mit ihrer ganz eigenen Art bis heute geprägt. Immer wieder erzähle ich Kollegen, Schülern und anderen Personen, dass diese Schule einen „Geist“ hat. Damit ist nicht das spukende Bettlaken gemeint, welches sich auf dem Dachboden der Schule eingenistet hat. Eine Schule mit Geist zeichnet sich durch eine besondere Atmosphäre aus, die weit über den bloßen Unterricht hinausgeht. Der „Geist“ einer Schule beschreibt die Werte, das Profil und die Kultur, die sie prägen. Diese Schulkultur ist essenziell für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte sowie der gesamten Schulgemeinschaft.

Als reines Oberstufengymnasiun verfolgt meine alte Schule eine Schulphilosophie, in der Visionen und Werte von der Schulleitung und den Lehrkräften vorgelebt werden. Sie wurde demnach in den 1970er Jahren gegründet und ist von einem stark anti-autoritären Umgang miteinander bis heute geprägt, was nicht zuletzt am damaligen „Zeitgeist“ liegt, der sich bis heute bewahrt. Diese Tatsache allein sollte sich schon im Namen der Schule widerspiegeln: Bertolt-Brecht-Schule. Sie versteht sich bis heute als Schule „für jeden“ – ohne jegliches Profil. Genau das ist der Charme dieser Schule. Wirklich jeder hat eine Chance und wird so angenommen wie er oder sie ist. Ich erinnere mich, dass der Unterricht professionell und die Zeit dazwischen politisch war, oft aber auch der Unterricht selbst. Wir wurden vom Unterricht befreit, damit wir auf einem großen Platz in Darmstadt an einer Demonstration gegen den Krieg im Irak teilnehmen konnten. Immer wieder war es dieser Geist, der uns entsandte und animierte zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu werden.

Eine Schule ohne klaren Geist läuft Gefahr, beliebig und unpersönlich zu wirken. Ein ausgeprägter Schulgeist hilft dabei, eine gemeinsame Identität zu schaffen, mit der sich sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte identifizieren können. Diese Identität schafft Orientierung und gibt Halt. Er trägt dazu bei, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu entwickeln. Wenn alle Mitglieder einer Schulgemeinschaft die gleichen Werte teilen, entsteht ein stärkeres Miteinander, was zu einer verbesserten Lernatmosphäre führt. Ein klarer Geist kann Schülerinnen und Schüler motivieren, sich aktiv am Schulleben zu beteiligen, sei es im Unterricht, in Arbeitsgemeinschaften oder bei Schulprojekten. Wenn sie sich mit der Schule identifizieren, steigt ihre Bereitschaft, sich für sie einzusetzen. Schulen sind nicht nur Lernorte für akademisches Wissen, sondern auch für die Vermittlung von Werten wie Toleranz, Respekt und Verantwortung. Ein klar definierter Schulgeist trägt zur aktiven Förderung dieser Werte bei und schafft ein Umfeld, in dem diese im Alltag gelebt werden.

Der Geist einer Schule ist mehr als nur ein abstraktes Konzept – er ist die treibende Kraft, die eine Schulgemeinschaft zusammenhält und ihr ihre Identität verleiht. Ein klar definierter Schulgeist fördert nicht nur das individuelle Wohlbefinden und die Lernbereitschaft der Schülerinnen und Schüler, sondern auch das gesamte Schulklima. Er schafft eine starke, positive Kultur, die alle Beteiligten motiviert und ihnen Orientierung bietet.

Ich habe seitdem etliche Schulen erlebt, sowohl in der Rolle als Student, als Vertretungslehrkraft und mittlerweile als Lehrkraft mit über 10jähriger Dienstzeit. Nie wieder ist mir ein Geist in einer Schule begegnet. Dabei wäre er so wichtig, bei den ganzen anderen politischen Gespenstern, die in unserer Gesellschaft so rumspuken. In einer Welt, die von stetem Wandel und wachsenden Herausforderungen geprägt ist, ist es daher wichtiger denn je, dass Schulen nicht nur Lernorte sind, sondern auch Orte, an denen Werte und Gemeinschaft aktiv gelebt und vermittelt werden. Ich kann meiner Schule keinen Geist einhauchen, aber ich kann versuchen die Werte meines alten Geistes weiterzugeben…

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